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Ein ungeübtes Auge hätte das Büro der Säpo-Analyseeinheit für Konterspionage nicht von einem Lehrerzimmer während der langen Mittagspause unterscheiden können. Bei den Damen hatte soeben der Nachmittagskaffee begonnen. Martina Lundström schenkte Barbro Kaffee in die Tasse. Martina sprach mit der souveränen Stimme einer Fünfzigjährigen und trug Strickpullover und eine Kurzhaarfrisur. Ihre sechs Kollegen sahen aus wie ihre gleichaltrigen Schwestern. Barbro hatte Martina vor einem Jahr kennengelernt. Seitdem kam sie als Ratsuchende immer wieder her, wenn es um Fragen ging, die es in sich hatten. Eine Viertelstunde in dieser Volksheim-Atmosphäre reichte, um Zweifel jeder Art abzuschütteln.
Allerdings durfte man sich von den Damen nicht täuschen lassen. Obwohl Martina ihren Schreibtisch mit den Bildern ihrer drei Enkeltöchter dekoriert hatte, die später wahrscheinlich auch mal bei der Konterspionage arbeiten würden, verbarg sich hinter der großmütterlichen Fassade ein perfider Geist.
„Das wäre natürlich möglich“, urteilte Martina, nachdem sie Barbro einige Minuten lang zugehört hatte. „Nimm einmal an, das Krypto gelangt als ordentliche diplomatische Sendung von Italien nach Stockholm. Vielleicht steckte noch etwas anderes in dem Kuvert. Nachdem die Sendung also hier angekommen war, wurden alle Kennzeichen entfernt, mit denen man das Krypto identifizieren könnte.“
„Hältst du das für möglich?“, fragte Barbro.
„Sogar für sehr wahrscheinlich. Denn ohne diese Merkmale hat das Kuvert keinen diplomatischen Schutz. Da hätte man auch ein ganz normales Briefkuvert nehmen können. Jemand hat also sowohl die Plombe als auch die Beschriftung entfernt.“
Martina tippte auf das durchsichtige Sichtfenster, das unter dem UN-Signet angebracht war.
Vielleicht konnte das sogar erst einer der Männer am Sveavägen getan haben, überlegte Barbro. „Was würdet ihr tun?“
Martina lächelte und biss in ihre Zimtschnecke. Sie überlegte, während sie kaute. „Euer Problem ist, dass seit Samstagabend alles ruhig ist. Wir sind die Kontraspionage und haben mit Verbrechen nichts zu tun, aber wir würden in so einem Fall neues Öl in die Glut gießen, damit die Flammen wieder lodern.“
Barbro nickte. „Soll ich die Botschaft benachrichtigen?“
„Auf keinen Fall. Niemals die Botschaft. Du schickst deine Anfrage direkt nach Rom. Falls man dort mit der Sache nichts zu tun hat, werden sie dir helfen. Wenn aber doch, dann kann die Gegenseite nicht einschätzen, wie viel du begriffen hast und was deine Absichten sind.“